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Ein spektakulärer Bericht

Samsons Eile

Am Tag, als sich Birgit Rudolph das Genick bricht, ist es morgens noch kalt. An diesem 7. Februar 2006 gibt es Minusgrade. Birgit Rudolph aus dem fränkischen Erlangen ist zusammen mit einer Freundin im Stall. Die beiden Frauen nehmen sich vor, den Pferdemist, der sich bereits über Wochen angehäuft hat, mit dem Mistwagen auf eine Sammelstelle am Rande des Dorfes zu fahren. Der Mistwagen ist ein zur Kutsche auf- gerüsteter Traktoranhänger mit Kutschbock, Bremsanlage und Ein- spannvorrichtung für das Zugpferd. Birgit Rudolph genießt den Tag. Sie liebt das Leben auf dem Land, die Landschaft am Rande des Steigerwaldes mit all ihren Reizen, die Ruhe zu beinahe jeder Tages- und Nachtzeit, den Kontakt zu den Dorfbewohnern und die Freiheit, sich seine Freizeit individuell zu gestalten. Für sie, ihren Mann und ihre Familie gehört dazu auch der Umgang mit Tieren. Mit Samson zum Beispiel, einem süddeutschen Kaltblut-Wallach. Elf Jahre ist er alt und, wie Birgit findet, ein Traum von einem Pferd. Gutmütig, ausgeglichen, immer zur Arbeit bereit. An diesem Tag aber bringt er Birgit Rudolph in Lebensgefahr.

Die Sonne scheint, als sich die beiden Frauen auf den Weg zum Mistsammelplatz machen. Birgit, stolze Besitzerin des Bronzenen Fahrabzeichens, fährt die Kutsche, während die Kollegin zwei weitere Pferde auf die Koppel gleich neben dem Mistabladeplatz führt. Alles läuft ab wie immer, bis sich Birgit auf den Rückweg macht. Sie steigt auf den Kutschbock. Samson wartet schon. Ihm ist die Zeit lang geworden. Er will zurück zu den anderen Pferden. Als ihm Birgit das Startzeichen gibt, gibt er Gas. Er prescht den Feldweg zurück; schnell, zu schnell. Birgit hat keine Chance, ihn zu bremsen.

Als er an einer Böschung die Richtung ändert, kippt der Wagen nach rechts auf die Seite. Birgit will noch abspringen, aber sie schafft es nicht mehr rechtzeitig. Sie bleibt mit dem linken Gummistiefel am Bremspedal hängen und wird noch ein Stück mitgeschleift. 15 Meter weiter bleibt sie bewusstlos liegen. Als sie wieder erwacht, ist die Stallkollegin schon bei ihr. Birgit kann sich nicht bewegen. Im linken Unterschenkel fühlt sie schneidende Schmerzen. Die Sanitäter treffen bald ein und bringen sie ins 15 Kilometer entfernte Kreiskrankenhaus, später geht es weiter in die Uni-Klinik nach Erlangen. Ihr Hals wird geröntgt, es folgt eine Computertomografie, schließlich teilt ihr eine Ärztin mit: „Sie haben sich das Genick gebrochen”. Es sind sogar drei Brüche. Der Dens Axis (der Zahnfortsatz des zweiten Halswirbels) ist durchgebrochen, der Axisring an einer Stelle gebrochen und der rechte Dornfortsatz des Atlas ebenfalls. Die Bruchstellen aber haben sich kaum verschoben und drücken deshalb nicht auf den Wirbelkanal. Sonst wäre Birgit Rudolph jetzt querschnittsgelähmt oder tot.

Die Ärzte entscheiden sich, die Verletzungen „konventionell“ zu behandeln. Birgit bekommt einen Halofixateur, ein Gestell mit vier Stäben, das mit Titanschrauben am Schädelknochen und einem gepolsterten Brust- Rücken-Korsett den verletzten Bereich unbeweglich macht. Die Bein- wunde wird genäht. Die Wunde heilt in den folgenden Tagen aber nicht, es entsteht sogar eine Nekrose. Das Gewebe stirbt ab. Birgits Zustand ist schlecht. Sie hat starke Nervenschmerzen, fühlt sich ausgelaugt und nimmt immer mehr ab. Auch die erste Kontrolluntersuchung der Wirbelbrüche drei Wochen nach dem Unfall ist ernüchternd: Es hat sich noch überhaupt kein neues Knochengewebe (Kallus) gebildet. Birgit ist verzweifelt. Aber sie fügt sich nicht in ihr Schicksal. Sie sucht nach Alternativen – und hat Glück. Ein guter Bekannter gibt ihr den Tipp: Versuche es mit galvanischem Feinstrom. Ein Tipp mit Folgen.

Birgit Rudolph besorgt sich Informationen über den galvanischen Feinstrom. Was sie da liest, kann sie kaum glauben. Diese Heilmethode, bei der über zwei Elektroden leichter – feiner – Gleichstrom durch den Kör- per geleitet wird, soll bei kontinuierlicher Anwendung tatsächlich bei all ihren Beschwerden helfen können? Sie probiert es aus. Der Bekannte besorgt ein Feinstromgerät der Marke Medica Galvanostrom. Birgits Mann verändert das etwas antike Modell so, dass Birgit die Elektroden auf die Haut kleben kann. Sie strömt jeden Tag mindestens zweimal eine Stunde oder länger. Sie spürt davon nichts, kein Brennen oder Bitzeln in der Haut, aber das Bein, das sie ebenfalls mit dem Strom behandelt, schwillt schon in der ersten Woche deutlich ab und schmerzt kaum noch. Die Wundränder der Verletzung schließen sich.

Mit Spannung fährt sie am 31. März 2006 zur zweiten Kontrolluntersuchung. Die Computer-Tomographie zeigt deutlich: Die Kallusbildung, von der bei der ersten Kontrolluntersuchung noch gar nichts zu sehen war, ist in vollem im Gange. Die Ärzte jedoch trauen der überraschend schnell fortschreitenden Heilung nicht. Normalerweise dauere eine konservative Behandlung mindestens zwölf Wochen. Birgit muss den ungeliebten Halofixateur weiterhin tragen; zur Sicherheit. Die Beinwunde interessiert niemanden mehr. Sie ist geheilt.

Birgit Rudolph strömt also weiter, senkt jedoch die Stromstärke. Anfangs war es 1 Milliampere, jetzt geht sie darunter und merkt: Dieser besonders sanfte Strom beruhigt sie. Die Gedanken hören auf zu rasen, die Konzentrationsfähigkeit nimmt wieder zu, die nach dem Unfall schlechte Sehschärfe verbessert sich um ein Vielfaches. Nach nur wenigen Tagen kann sie wieder klar sehen. Außerdem wacht sie nun morgens aus- geruht auf, nach einer Nacht ohne Albträume oder Schlafunterbrechungen wie in den Wochen zuvor. Am 26. April 2006 ist es endlich soweit: Die Ärzte der Unfallchirurgie geben grünes Licht: Der Halofixateur wird abgenommen. Die Bruchstelen sind verheilt, alles ist fest zusammengewachsen. Birgit Rudolph hat trotz der langen Zeit der Unbeweglichkeit nicht einmal Probleme mit den Muskeln an Hals und Nacken. Elf Wochen nach dem Unfall, acht Wochen nachdem Birgit Rudolph zum ersten Mal den galvanischen Feinstrom eingesetzt hat.

Ein Wunder? Eine Frau bricht sich das Genick und heilt drei Wirbelbrüche dadurch, dass sie täglich feinen Strom durch ihren Körper schickt. Schließt damit eine Wunde, die schon zur Nekrose, zu absterbendem Gewebe, geworden ist. Verbessert ihre durch den Unfall in Mitleidenschaft gezogene Sehkraft, beruhigt nebenbei noch ihre Nerven. Alles mit einem Gerät. Alles mit einem Mittel: mit Feinstrom. Wieso aber kennt dieses Wundermittel niemand?